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X will Daten nicht an Forscher herausgeben

Auf Grundlage des Digital Services Act verurteilte das Landgericht Berlin die Plattform X dazu, in Echtzeit Forschungsdaten an NGOs herauszugeben. Auf diese Weise soll die Wissenschaft systemische Risiken auf großen Online-Plattformen untersuchen können. Das Digitalunternehmen X kündigte an, gegen das Urteil vorzugehen.

Laut einer Pressemitteilung, wurde die Plattform X vom Landgericht Berlin in einem Eilverfahren dazu verurteilt, zwei NGOs über eine Online-Schnittstelle in Echtzeit öffentlich verfügbare Daten des Kurznachrichtendienstes zugänglich zu machen. Wissenschaft und Forschung benötigen diese Daten, um sogenannte systemische Risiken zu untersuchen und zu bewerten. Zu den systemischen Risiken zählen beispielsweise politisches Microtargeting, Desinformation oder irreführende Werbung. Gerade im Vorfeld von Wahlen kann das erhebliche Auswirkungen auf politische Meinungsbildungsprozesse haben. Im Vorfeld der Bundestagswahl in Deutschland wollten Democracy Reporting International und die Gesellschaft für Freiheitsrechte Daten zur Evaluation dieser Risiken bei X abfragen.

Die rechtliche Grundlage eines solchen Anspruchs auf Informationszugang gegenüber X findet sich in Artikel 40 des Gesetzes über digitale Dienste. Der von der Europäischen Union verabschiedete Rechtsakt, auch bekannt als Digital Services Act (DSA), ist seit dem 17. Februar 2024 vollständig anwendbar und soll ein sicheres und verantwortungsvolles Online-Umfeld gewährleisten. Zu diesem Zweck wird unter anderem die Entfernung illegaler Inhalte geregelt. Die Anbieter bestimmter Online-Dienste, etwa Cloud-Dienste, Online-Marktplätze oder Social-Media-Plattformen werden bei Einhaltung gewisser Sorgfaltspflichten von der Haftung für illegale Inhalte teilweise befreit. Gerade durch besonders große Plattformen, etwa X, Amazon oder Meta bestehen jedoch teils erhebliche Risiken für Gesellschaft und Demokratie. Damit Forscherinnen und Forscher diese Risiken besser aufdecken, identifizieren und verstehen können, hat der Gesetzgeber in Artikel 40 des DSA vorgesehen, dass die Anbieter sehr großer Online-Plattformen über eine Online-Schnittstelle Zugang zu den dafür erforderlichen Daten gewähren müssen.

Der Plattformanbieter X erklärte in einem Post vom 18. Februar 2025, dass das Unternehmen die Entscheidung des Gerichts angreifen und in Berufung gehen werde. X begründete die Entscheidung damit, die Grundrechte, namentlich die Privatheit und Meinungsfreiheit, der betroffenen Nutzerinnen schützen zu wollen. Das Unternehmen rügte zudem, dass es vom Gericht nicht gehört worden und dadurch das Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. Außerdem sei der Richter Mitglied der Gesellschaft für Freiheitsrechte und demnach möglicherweise befangen. Die Mitteilung des Unternehmens schließt mit der Aussage, dass X die in der deutschen Verfassung enthaltenen Grundrechte verteidigen und sich Unrecht nicht beugen werde.

Die Abwägung der gegenläufigen Interessen und Grundrechte der Digitalplattform sowie ihrer Nutzer auf der einen Seite und der Forscher:innen sowie Allgemeinheit auf der anderen Seite wird den Gerichten überlassen bleiben. Es ist jedoch bedenklich, wenn der Wissenschaft Zugang zu Daten verwehrt bleibt, die unentbehrlich sind, um systemische Risiken auf Online-Plattformen zu evaluieren. Ohne diese Forschungsergebnisse ist eine effektive Kontrolle der Macht digitaler Plattformen und ihres Einflusses auf die Demokratie nämlich kaum möglich. Sich auf Grundrechte der Nutzer:innen zu berufen, scheint Teil des Standard-Repertoires großer Plattformen zu sein, wenn es darum geht, sich einer Kontrolle durch die Wissenschaft zu entziehen. Das PriDI-Projekt soll in dieser Hinsicht einen Ausgleich schaffen und zeigen, wie die geltende EU-Gesetzgebung, etwa der DSA, mit den Grundrechten und Grundfreiheiten aller in Einklang gebracht werden kann.

Leopold Beer ist Jurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Open Search Foundation e.V.. Er ist ausserdem Teammitglied im PriDI-Projekt, welches die grundrechtskonforme Gestaltung eines offenen Webindex untersucht.