M.Sc. Huda Koulani
„Der Mehrwert einer präzisen, datenschutzkonformen Internetsuche kann viele Menschen zur Nutzung alternativer Suchmaschinen bewegen.“
PriDI-Team-Mitglied Huda Koulani im Interview über Ihre Rolle als Informatikerin in einem juristischen Projekt und welche Chancen der Offene Web Index (OWI) für die Gesellschaft bietet.
Huda Koulani hat Informatik an der Universität Kassel studiert. Im Schwerpunkt Ihres Masterstudiums beschäftigte sie sich mit „Informatik für die digitale Gesellschaft“. Dabei analysierte sie die potentielle Entwicklung der Gesellschaft von morgen, die Prinzipien der Mensch-Maschine-Interaktion, und welche Aspekte daraus bei der Entwicklung neuer Technologien zu berücksichtigen sind. Im Anschluss an ihr Masterstudium stieg Huda als Doktorandin in das PriDI-Projekt ein.
Das Projekt PriDI erforscht an der Schnittstelle zwischen Recht und Wirtschaftsinformatik, wie ein offener Webindex (OWI) grundrechtskonform und privatheitschonend gestaltet werden kann. Der Webindex fungiert als ein gut strukturiertes, tagesaktuelles Register aller verfügbaren Websites – Suchmaschinen greifen bei einer Anfrage auf den Index zu. Ein offener Webindex wird derzeit von 14 europäischen Staaten gemeinsam entwickelt und befindet sich aktuell in der Testphase. Für den offenen Webindex gibt es hauptsächlich zwei zukünftige Nutzergruppen: 1. Die Anwendungs-Entwickler:innen: sie entwickeln neue Dienstleistungs-Produkte basierend auf dem Index. 2. Die Endnutzer:innen: sie sollen erfahren und verstehen, dass die von ihnen genutzte Suchmaschine oder Anwendung auf einem offenen Webindex basiert.
Liebe Huda, was ist deine Rolle als Informatikerin in diesem juristisch geprägten Projekt?
Ich bringe die wirtschaftsinformatorische Sicht ins PriDi-Projekt ein. Mein Forschungs-Schwerpunkt liegt auf neuen technischen Anwendungsfällen, die sich durch den offenen Webindex ergeben. Dabei untersuche ich vor allem die Frage: Wie und wodurch können zukünftige Nutzer:innen des OWI dem Index vertrauen? Und: Wie bewegen wir die Zielgruppen dazu, den OWI zu nutzen und von den großen bekannten Suchmaschinen und deren Indexen auf alternative Suchmaschinen umzusteigen?
Stichwort: Alternative Suchmaschinen und Indexe – was glaubst Du, muss passieren, damit die Menschen Ihr Suchverhalten ändern?
Wenn ich jetzt mal von mir als Nutzerin ausgehe – wenn ich heute eine der großen Suchmaschinen nutze, bekomme ich eine unglaubliche Menge an Daten ausgespielt. Als Nutzerin stehe ich vor der Herausforderung, die Ergebnisse für mich zu filtern und zu bewerten. Suche ich beispielsweise nur nach einem bestimmten Fakt zu einer politischen Person, bekomme ich gleich auch weitere, teils persönliche Informationen zu ihrer Familie, dem Werdegang und Ähnlichem. Der OWI bietet neue Anwendungsmöglichkeiten – beispielsweise den Aufbau vertikaler Suchmaschinen, die nur ein bestimmtes Themenfeld betrachten. Damit wird die Suche präziser und einfacher. Ich werde nicht mehr so mit Daten überflutet. Ich gehe davon aus, dass dieser Mehrwert viele Menschen zur Nutzung alternativer Suchmaschinen bewegen kann.
Lass uns diesen Aspekt bitte noch einmal vertiefen: Vertikale Suchmaschinen fokussieren sich auf einen bestimmten Themenbereich, zum Beispiel Politik. Kann es da nicht auch passieren, dass ich als Nutzer:in interessante Aspekte aus dem großen WWW verpasse?
Das wird nicht Fall sein. Im Gegenteil – man bekommt qualitativ hochwertigere Ergebnisse. Vertikale Suchmaschinen haben viel mehr ‚Tiefgang‘. Nehmen wir beispielsweise eine Suchmaschine nur für Nachrichten. Wenn Du dort „aktueller Stand in Nordafrika“ eingibst, wirst Du viel genauere und aktuellere Antworten erhalten, als wenn Du die gleiche Suchabfrage in Google vornimmst.
Du hast zu Beginn gesagt, dass Dich vor allem das Thema „Vertrauen der Nutzer“ beschäftigt, also Akzeptanz-Kriterien. Was ist derzeit der aktuelle Stand deiner Forschung? Welche Kriterien werden eine wichtige Rolle für den OWI spielen?
Wir untersuchen gerade zwei Ebenen: einerseits die Nutzerakzeptanz-Kriterien der Anwendungsentwickler:innen, die basierend auf dem OWI neue Produkte entwickeln sollen. Und in der zweiten Ebene die Akzeptanz-Kriterien für die Endnutzer:innen, die dann diese Produkte anwenden. In beiden Fällen haben wir festgestellt, dass die Kompatibilität des OWI mit vorhandenen oder neuen Produkten ein sehr wichtiges Kriterium sein wird. Die Entwickler legen besonderen Wert darauf, nahtlos an den OWI andocken zu können.
Ausserdem hat sich herauskristallisiert, dass die Berücksichtigung von Werten, wie etwa der Schutz persönlicher Daten, für Endnutzer:innen eine wichtige Rolle spielt. Dass Datenschutz ernst genommen wird, muss für Nutzer:innen bei der Anwendung erkennbar sein – beispielsweise im Cookie-Banner oder wenn ich aufgefordert werde, meine persönlichen Daten auf einer Website einzugeben. Die Nutzer:innen möchten spüren, dass ihre Daten geschützt sind und nicht ohne ihr Einverständnis für Werbung verwendet werden. Wir werden also die Anwendungsentwickler:innen auffordern, das Thema Datenschutz immer von Anfang an mitzudenken.
Wie erarbeitet man als Forscher:in solche Akzeptanz-Kriterien? Wie gehst Du vor?
Ich arbeite systematisch. Dass heißt, ich schaue, ob es aktuelle Studien oder wissenschaftliche Publikationen zu einem spezifischen Thema gibt – beispielsweise zur Bedeutung von Datenschutz. Wenn mir keine passenden Veröffentlichungenzur Verfügung stehen, betrachte ich vergleichbare Publikationen und schaue, ob ich den Kontext in meine Forschung übertragen kann. Aus allen Materialien arbeiten wir eine Reihe von Akzeptanz-Kriterien heraus und stellen den Zusammenhang mit dem OWI her.
Wie stellt Ihr sicher, dass die Ergebnisse auch in der Praxis anwendbar sind?
Das machen wir mit einer empirischen, qualitativen Studie. Im Rahmen meiner Forschung entsteht ein Modell zu den Akzeptanz-Kriterien. Mit diesem Modell werden wir dann Anwendungsentwickler:innen und Endnutzer:innen befragen. Dann bekommen wir einen echten Eindruck beider Zielgruppen. Das Studiendesign ist noch nicht final entwickelt, aber wir werden wahrscheinlich je Zielgruppe eine Online-Umfrage durchführen. Hierzu werden wir auch gezielt auf bestimmten Plattformen Einladungen für die Teilnahme aussprechen.
Das PriDI-Projekt als Ganzes betrachtet: Für wen wird dieses Projekt aus deiner Sicht Mehrwert stiften und wodurch?
Ich denke, da muss man das PriDI-Projekt im Gesamt-Kontext der Entwicklung eines offenen Webindex betrachten. Das Projekt ist wichtig, für beide Zielgruppen, über die wir schon gesprochen haben. Es gibt viele Anwendungsentwickler:innen, die innovationsorientiert arbeiten und sich auf dem Markt umschauen – da ist der OWI sehr attraktiv. Sie können Teil dieser sich entwickelnden Gemeinschaft sein und an der Open Search Bewegung mitwirken. Die Endnutzer:innen werden auf jeden Fall von mehr Datenschutz und mehr informationeller Souveränität profitieren.
Bitte vervollständige folgenden Satz: Ich bin zufrieden mit den Projekt-Ergebnissen, wenn …
… wir von Seiten der Wirtschaftsinformatik die Nutzerakzeptanz-Kriterien so herausgearbeitet haben, dass wir über die Studie eine positive Rückmeldung erhalten. Dann wissen wir, dass die richtigen Aspekte in die Entwicklung von Innovationen, die auf dem OWI aufsetzen, einfließen werden.
Neben dem PriDI-Projekt hast Du einen weiteren Forschungsschwerpunkt. Du beschäftigst Dich mit „Data Literacy“, also dem kompetenten Umgang mit Daten, die uns heute in vielen Arbeits- und Lebensbereichen als Entscheidungsgrundlage dienen. Wo liegen aus deiner Sicht die größten technischen oder gesellschaftlichen Herausforderungen im kompetenten Umgang mit Daten? Und wie können wir ihnen begegnen?
Uns stehen heute enorme Datenmengen zu Verfügung. Die große Herausforderung besteht im richtigen Umgang mit diesen Daten. Wie bereitet man Daten auf? Wie analysiert man sie? Welche Schlussfolgerungen sollten daraus gezogen werden?
Der aktuelle Stand der Forschung zeigt: Vom Schüler bis zum langjährig Berufstätigen – alle werden Datenkompetenzen brauchen. Aber nehmen wir beispielsweise das Studium derzeit. In vielen Studiengängen, wie etwa Sozialwissenschaft oder Jura, kommt dieses Thema zu kurz. Es gibt vielleicht ein Data Science Modul, aber selten wird echtes Transferwissen vermittelt. Dabei sind Daten ein Werkzeug für die Beantwortung verschiedenster Fragestellungen in verschiedensten Kontexten. Schüler und Studierende müssen möglichst früh mit dem Thema „Daten“ in Kontakt kommen und lernen, damit umzugehen.
Eine weitere Herausforderung sehe ich darin, die ältere Generation nicht zu vergessen. Auch sie müssen wir auf die Reise hin zu einem kompetenten Umgang mit Daten mitnehmen.